Japan2005
Dienstag, Januar 18, 2005
  Der zweite Blick auf das Japanische Meer .

Telegramm Niigata: 15 Uhr Ankunft Hotel Nikko. Vom Zimmer im 26. Stock des Bandaijima-Gebäudes, Teil der Toki-Messe, erstaunliche Aussicht auf eine Stadt, die in keinem Reisebericht vorkommt, auf ihren Fluss, den Shinano, auf das Japanische Meer und auf unglaublichen Wolken am Himmel. Vom Winter keine Spur. Der Schnee blieb in den Bergen liegen. Mit dem Shinkansen fuhren wir von Tokyo in nordwestlicher Richtung quer über die Insel. An den Rand der Kanto-Ebene. Wo uns aus der Ferne scheu der Vulkan Asamayama zuwinkte. Ohne erkennbare Rauchzeichen. Und der mächtige Haruna. Der Hochgeschwindigkeitszug zischte sie an und durchbohrte den Bergzug Echigo-sanmyaku. Hielt kurz in Echigo-Yuzawa. Holte Luft. Und Tsuji-san, des Professors Kollegin aus Niigata, Eisenbahnspezialistin, Erkunderin des koreanisch-chinesisch-russischen Grenzgebietes rund um den Tumen-Fluss, lachte: „Direct Subway from Tokyo!“

Wir waren um elf Uhr in Tokyo im ABC-Building, 10. Stockwerk, American Library Center verabredet. Bis dorthin begleiteten uns, wie immer, der Bus aus Tsukuba und mein Fujisan. In einem überheizten Raum hörten wir überspitzte Worte, den Rest der Rede von Mr. Weldon, dem stellvertretenden Vorsitzenden des Verteidigungsausschusses des US-Kongresses, gerade zurück von einem Besuch in Pyongyang. Uff. Auf dem Hausdach gegenüber glaubte ich Scharfschützen zu erkennen. Es waren aber bloß dick vermummte Haushandwerker, die eine Feuertreppe an der Außenfassade montierten. Über den Wolkenkratzern kreiste ungeduldig ein Hubschrauber. Mag Zufall sein. Dachte ich und fragte meinen angetrauten Tourismusexperten: „Müssen wir uns das anhören?" Der nickte. Und mich packte die erste Wut. Tsuji-san hatte uns freundlicherweise in Niigata im Nikko-Hotel untergebracht, das die oberen Stockwerke des Bandaijima-Hauses einnimmt. Unten sind Großraumbüros verschiedener Couleurs untergebracht. Im 12. Stockwerk arbeitet Tsuji-san im Economic Research Institute for Northeast Asia (ERINA), wenn sie nicht gerade in Tokyo oder Korea oder Europa auf einer Konferenz die neuesten Studien zum Transportvolumen der transsibirischen Eisenbahn vorträgt.

Der Professor wird morgen rechtzeitig und zu Fuß zu seinem eigenen Vortrag im ERINA erscheinen. Mit dem Hotellift nach unten in die Lobby. Mit dem Institutslift den halben Weg wieder nach oben.

Zum ersten Mal in meinem Leben sah ich das Japanische Meer vor einigen Jahren in Rajin-Sonbong/Nordkorea. Wir verbrachten damals eine Nacht im Hotel Emperor, was eine unglaubliche Geschichte unter einem unglaublichen Himmel voller unglaublicher Wolken für sich allein ist. Wir wollten das Meer sehen und gingen, wie wir das heute abend hier auch taten, unangemeldet aus dem Hotel. Wir hatten kaum zwei Schritte getan, als wir von besorgten Bodyguards umringt waren, die uns alles mögliche weismachen wollten, was uns passieren könnte. Auf dem kurzen Weg zum Meer. Wir setzten uns durch. Das Meer lag ruhig vor uns. Sie folgten uns unauffällig so unauffällig, wie es ihnen möglich war.

P.S. Tsuji-san äußerte sich auf dem Weg zum Abendessen (köstlich, in Niigata - dem Ort, der in keinem Reiseführer der Welt auftaucht, in keinem Guinessbuch der Rekorde, in keinem Gourmetheftchen - gibt es den besten Reis Japans, den besten Fisch Japans, den besten Sake Japans) wohlwollend über meine roten Lammfellschuhe. Echte Schweizer Winterstiefel. Erkläre ich. Und sie klärt mich auf. Über die sonderbaren Sandkörperteilheizkisschen, die Wärme entwickeln durch Hautreibung und einen Arbeitstag lang Hautteile mit giftigen Warmausdünstungsstoffen versorgen: in Japan gibt es Wärmeschuhsohlen. An die Fußsohlenhaut anzuklebende, an die Form der Quadrat- oder Plattfüsse angepasste, Sandheizkissen. Die Menschen tragen in den Schuhen Heizkissen. Deshalb bekommen sie keinen Schnupfen. In ihren Turnschuhen. Sandalen. Stöckelschuhen. Nicht einmal auf bloßen Füssen in den Tempeln. Oder durch den Schnee.


 
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Judith Arlt in Japan. -- Es hat mich in ein Land verschlagen, das sauberer ist als die Schweiz. -- Zu einer Jahreszeit, die ich lieber bei den wildlebenden Kaiserpinguinen auf dem Meereis in der Weddel See verbringen würde. -- Als begleitendes Familienmitglied eines Research Fellows der Japan Society for the Promotion of Science. -- Judith Arlt in Tsukuba Science City, Präfektur Ibaraki.

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