Japan2005
Donnerstag, Januar 13, 2005
  Die unsichtbare Welt .

Ich hielt in der Früh Zwiesprache im neunten Stock aus dem Fahrstuhl heraus mit Fujiyama. Er war gnädig und nickte mir mehrmals leise zu. Der Professor ist in Matsudo, hält seinen Vortrag und wird durch die Gegend kutschiert. Ich hätte mitfahren dürfen, verzichtete aber gerne. Dort gibt es keinen der drei schönsten Gärten. Neben dem bereits abgeschrittenen Kairaku-En sind die beiden anderen Kenroku-En in Kanazawa (besichtigen wir am 22. Januar) und Koraku-En in Okayama (besuchen wir auf der Rückreise von Beppu in den letzten Januar- oder ersten Februartagen). Nach einem Tokyoausflug brauche ich dringend meine Hausfrauenidylle mit Waschmaschine, kalter Bibliothek, Blick auf den Tsukubasan, sowie alle paar Stunden einen Lift in den neunten Stock. Denn das Licht ist wichtig. Und der Sonnenstand. Sowie ein gleichbleibendes Objekt. Nicht nur für Hopper. Auch für mich. Das Experiment heute: Bettwäsche. Da keine Leintücher zum Wechseln im Inventar des Apartments 2108 vorgesehen sind, wäscht die Hausfrau in der Früh und hofft auf starken Wind wie gestern im Ueno-Park, damit er auf dem Balkon die Wäsche vor dem Eindunkeln trockenreibt. Dabei kommt zum Vorschein auf und unter was wir eigentlich schlafen. Auf einer dicken Matratzenauflage aus reiner Schurwolle. Unter einem Leintuch und einer in einen Bezug gebundenen (im wahrsten Sinne des Wortes) Wolldecke und unter einem dicken Federbett. Ergibt pro Bett 4 Stück Wäsche. Ohne Kissen. Zuviel für die Waschmaschine und für die Trocknungskapazitäten an den Wäschestangen auf dem Balkon. Also wird heute das Bett des Herrn abgezogen und abends frisch bezogen. An der festgebundenen Wolldecke hätte meine Glarner Großmutter ihre wahre Freude gehabt. Die Wolldecke ist an allen vier Ecken mit kleinen Schlaufen ausgestattet – der Bezug entsprechend an allen vier Ecken mit Leinenbändel. Damit wird die Wolldecke in den Bettbezug festgebunden und verrutscht nicht, außer der Schlafende träumt so heftig und wälzt sich auf der Schurwolle, dass die ganze schwere Daunenherrlichkeit darüber auf dem nachts kalten Fußboden landet.

Der diesjährige Reis ist natürlich noch nicht gepflanzt in der Kanto-Ebene. Was auf den Feldern vor unseren Fenstern sprießt, ist Wintergemüse. Wir seien mitten in der Erdbeersaison, erklärte mir Aoki-san. Ich muss ziemlich verdutzt in die Welt geguckt haben, denn er schob nach „natürlich im Treibhaus“. Ach. Treibhäuser im größten Reisfeld des Landes. Warum nicht. Hier wohnen die reichsten Bauern, und scheint die Sonnen täglich länger als anderswo. Ideal für Wintergemüse und Treibhauskulturen. Im Kasumi verkaufen sie halbe abgepackte Eisbergsalate. Viertelweise Rettich. Einzelne Zwiebeln und Apfelschnitze. Die kleinen Portionen, haben wir nachgerechnet, sind nicht teuerer als die großen. Was aber macht man mit einem halben Eisbergsalat? Fragte mein Professor zum ersten Mal wirklich verstört.

Ich habe nichts mitgenommen aus Berlin. Nur meinem Computer und das Moleskine, das mir Maria K. zum Geburtstag schenkte. Noch scheue ich aber davor zurück, es zu benutzen. Notizen hineinzuschreiben. Noch weiß ich überhaupt nicht, was ich hier will. Vögel. Vielleicht. Mein Gekritzel landet unsortiert auf losen Seiten eines Memo Pads. Im Dreierpack im 100-Yen-Shop erstanden. Unbedenklich vernichtbar.

Mein Nachhaltigkeitsspezialist hingegen braucht persönliche Dinge. Ein Andenken musste mit. In Form, Größe und Gewicht einer schwarzen Postkarte. Darauf steht in weißen Buchstaben

Wenn zu perfekt,

liebe Gott böse!

Nam June Paik


Vor ein paar Tagen wurde mir die Stille tagsüber zu schwer. Wir radelten zum CD-Laden und kauften Shamisen-(3-saitige Laute) Musik. Und weil wir schon da waren, auch Stockhausen, die 12 Melodien der Sternzeichen. Und etwas unbekanntes „Women Write Music“, Orchestermusik von Elizabeth Maconchy, Chen Yi, Tera de Marez Oyens, Jean Coulthard, Tania Leon, Nicola LeFaun, Barbara Kolb, Germaine Tailleferre, Doreen Carwithen. Wenn ich allein bin, mag ich nur die Laute.

Gleich geht die Sonne unter. Morgen fahren wir nach Utsunomiya. Mit dem Shinkansen von Ueno aus. Dauert eine knappe Dreiviertelstunde. Der Professor hat dort ein Gespräch, danach fahren wir sofort weiter nach Nikko. Wo wir in einem traditionellen japanischen Hotel übernachten. Übermorgen erkunden wir die Stadt und kommen zurück.

 
Comments:
Judith, your blog. I can't keep up with it, and I don't know when you have time to write all that up, but I love it, especially your Hopper-in-Tsukuba landscapes and T. Jun'ichiro's ruminations on the color white and toilet seats. I agree. If I had to sip my red miso soup from white porcelain bowls, I'd puke. MY sushi plates are BLACK. Aloha, Rhea
P.S Why do you have to wash the f....... sheets!? You're only staying two months. Aloha
 
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Judith Arlt in Japan. -- Es hat mich in ein Land verschlagen, das sauberer ist als die Schweiz. -- Zu einer Jahreszeit, die ich lieber bei den wildlebenden Kaiserpinguinen auf dem Meereis in der Weddel See verbringen würde. -- Als begleitendes Familienmitglied eines Research Fellows der Japan Society for the Promotion of Science. -- Judith Arlt in Tsukuba Science City, Präfektur Ibaraki.

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