Doho Park
.
Um acht Uhr zehn klingelte das Telefon. Noch ist es unvertraut. Ich griff instinktiv nach dem Wecker. Der aber schwieg. Noch brauchen wir viel Schlaf. Und tief. Die Sonne stand schon eine Stunde über Tsukuba. Jeannette aus London wollte vor dem Zubettgehen wissen, wie wir mit zweitem Vornamen heißen. Sie hat billige Flüge nach Glasgow entdeckt und will unbedingt buchen. Für unseren gemeinsamen Urlaub im August in Ardnamurchan.
Der Professor hat heute Hausaufgaben zu erledigen, deswegen schwieg der Wecker. Auf die Schweizer Freunde ist Verlass und sie sind über die ganze Welt zerstreut. Da das Wetter prächtig ist, schwingen wir uns auf die Fahrräder und fahren zuerst einkaufen, was immer noch unverhältnismäßig viel Zeit in Anspruch nimmt, da wir nach wie vor herumstaunen und stundenlang Verpackungen nach einem verständlichen Wort, einem Kanji oder einem internationalen Symbol absuchen. Jeden Tag gibt es neue Erleuchtungen. Vorgestern die Erkenntnis im Supermarkt Kasumi, dass deswegen in keinem Regal Nudeln zu finden sind, weil sie frisch im Kühlregal liegen. Udonnudeln (dicke, weiche aus Weizenmehl) neben Sobanudeln (braune, aus Buchweizen) neben Reisnudeln (durchsichtige, dünne). Portionenweise abgepackt. Haltbar jeweils ein bis zwei Tage. Die Verzweiflung folgt auf dem Fuß: nicht einmal Nudeln können auf Vorrat eingekauft werden. Der Tourismusexperte fragte gestern im Umweltinstitut nach, das sich auf Zukunftsszenarien des „Global Warming“ spezialisiert, warum es in Japan keine Haltbarkeit von Lebensmitteln gibt. Und die Antwort war – einmal mehr – so einfach wie verblüffend: „Because of climatic conditions“. Orangensaft im Tetrapack, verflüssigtes Konzentrat wie in Europa, ist hier höchstens zwei Wochen haltbar. Dort im Schnitt ein Jahr. Eine rund abgepackte Portion Sushireis mit Kräutern, oder eine dreieckig in Seetang gehüllte, muss am gleichen Tag verzehrt werden. Kalt, eignet sich nicht zum Erwärmen in der Mikrowelle, aber bestens als Proviant für die Busreise nach Tokyo. Die Nudeln für unser Abendessen müssen täglich aus dem Kasumi-Kühlregal geholt werden. Ich frage mich, wozu in unserem Apartment ein Kühlschrank steht. Nachts herrschen zur Zeit auch hier Minustemperaturen. Nur tagsüber verführt der blaue Himmel. Und die flache Stadt im größten Reisfeld des Landes. Zu Fahrradausflügen. In den Doho Park.
Der Doho Park. Die Erleuchtung von heute. Radelnd bequem in einer Viertelstunde vom Ninomiya House aus zu erreichen. Im Park ein Sportzentrum mit Schwimmbad. Die Verzweiflung fehlt aber auch diesmal nicht: Heute offenbar geschlossen wegen Großreinemachens. Eine Putzfrau kippt gerade einen Kübel Seifenwasser vor unseren Füßen aus und ruft uns etwas Unverständliches zu. Öffnungszeiten sind von außen nicht zu erkennen. Auch nicht, ob „Japanese only“. So setzen wir uns auf eine Bank an die Sonne, glotzen auf einen kleinen Teich und überschlagen unsere Lage. Kinder füttern dicke Graugänse mit Weißbrot (erstanden bestimmt im „Sieger“, dem österreichischen „Café und Konditorei“ am nordwestlichen Zipfel des Parks – Foto von dem k.u.k.-Unikum mit rotweißgestreifter flatternder Fahne an der Hausecke folgt). Über das Wasser schwebt ein Reiher und setzt elegant auf einem Holzpfahl auf.
Wir sind hungrig und gierig wie die Graugänse. Essen üppig bei Otaru Zushi, sogar mit Nachtisch. Fahren nach Hause. Nehmen aus purem Übermut im Ninomiya House den Süd-Fahrstuhl in den 9. Stock, wo sich ein Salon, zwei Zimmer im „Japanese Style“ und ein Dachgarten befinden. Alle Türen sind abgeschlossen, die Räume können für 191 Yen die Stunde gemietet werden. Vom offenen Fahrstuhl aus sehen wir in der Ferne den schneeweißen Fuji.
Das reicht für heute an Schönem. Wir machen uns endlich an unser Tagewerk.