Japan2005
Mittwoch, Januar 26, 2005
  Hihokan .

Immer noch Beppu. Ich sitze in Malcolms office, versuche zu schreiben, während es draußen dunkel wird. Während der Professor nebenan seinen Vortrag hält. Ich höre seine Stimme. Es ist warm, wie in allen Büros Japans. Wie in keinem Haus. Wir sind leider ein Stück zurück in die westliche Welt gerückt. Essen Toast zum Frühstück. Trinken Wein am Abend. Malcolm C., Australier, verheiratet mit P, einer Deutschen, ist Direktor des Research Instituts der APU (Asian Pacific University) in Beppu. Die Gebäude der Universität trotzen in zartrotem Beton auf dem Berg über der Stadt wie eine stalinistische Burg. In der Nacht werden sie angestrahlt und umnebelt wie der Moskauer rote Platz in einem Gruselfilm. Beppu ist die Stadt der abertausend Heilquellen. Der Vulkan schläft angeblich. Aber er tränkt die Erde mit heißem Wasser. Schwefelhaltig. Kochend. Wir besuchten die Kannawa Quellen. Wollen morgen in ein Onsen gehen oder ein Sandbad nehmen. Verdrückten je ein im natürlich dampfenden Wasser aus dem Boden staubig gekochtes Eier. Mit Anleitung. Auf dem Holztisch. Für die Touristen. Auch in Englisch. Das Eiweiß, bräunlich verfärbt vom mineralhaltigen Schlamm, in dem das Ei mindestens zehn Minuten schwamm, mit Salz. Das Eigelb mit Soyasauce. Japanischer Ostereierplausch. Die Sonne zeigt sich zögerlich. Der Professor ist überzeugt, dass das Wetter mit jedem Tag besser wird.

Der Winter hat, wie gesagt, seine Vorteile. Die Stadt dampft merklich mehr als im Sommer. Auch der See gestern. Das natürliche Gruseln in der Abenddämmerung. Die Temperaturunterschiede sind größer. Und die Effekte umso einleuchtender. Auch der Fisch frisst sich im Winter ein Fettpolster an und schmeckt deshalb besser. Sagte Tsuji-san. P. isst keinen rohen Fisch. Fliegt alle paar Wochen nach Australien an die Sonne und zu den Enkelkindern. So wird sie hier nie warm. Ihr Haus mit Sicht auf die Beppubucht ist mit einer Privatquelle ausgestattet ist. Bleibt aber ansonsten mehr oder weniger unheizbar. Mehr als dreimal täglich sollte man kein Heilquellenbad nehmen. Wir drehen im Bad den Hahn auf und das heiße Vulkanwasser sprudelt ins Haus. Die rechteckige Steinwanne kühlt es auf eine haut- und kreislaufverträgliche Temperatur hinunter.

Ich wusste nicht, dass mir schon hier die Vulkane zu nahe kommen. Dass sie so aktiv sind. So viel Wärme verbreiten. Warum, fragte ich beim Toast, benützt man das heiße Wasser aus dem Boden nicht (beispielsweise) für Fußbodenheizungen in den Häusern? Wegen der Mineralien. Erklärt die Geologin P. Die setzten sich ab. Fliessen nicht mit. Verstopfen mit der Zeit alle Leitungen. Aber in den Gewächshäusern wird der Dampf gefangen. Und die Blumen gezüchtet. Die Orangen hängen sinnlos draußen an den Bäumen. Keiner pflückt sie. Blütenzauber ist wichtig. Schneefreie Strassen. Gebührenpflichtige Parkplätze. Zurechtgestutzte Bäume. Das Staunen über das Artifiziell-Antiquierte. Die Minimalnatur. Die Wochenendbegeisterung.

Ich dachte, das Mächtige und Gewaltige eines Vulkans hätte ich mir aufgespart. Für das Leben nach Japan. Jetzt ist er bereits da. Zum Greifen und Begehen.

Gestern das Dorf Yufuin in den Bergen. In der Caldera. Der leeren Magmenkammer. Eine künstliche Welt wie unsere Wissenschaftsstadt Tsukuba. Ein ganzes Dorf als Freilichtmuseum, 1980 aus dem natürlich qualmenden Boden gestampft. Und mit Traditionen besiedelt. Mit Bodenschätzen angereichert. Mit Handwerk versetzt. Die materialistische Welt Japans. Glasbläser. Papiermacher. Stofffärber. Misohersteller. Reismehlmüller. Da es im Teehaus nur Assam und Darjeling-Tee gab, trank ich mit den anderen schwarzen Kaffee. Er schlug mir auf den Magen. Im Regen saßen wir am Bahnhof und badeten unsere Füße in einem offenen Wartesaalheilfußbad. Bis sie krebsrot waren. Und wir nach Hause gingen.

Heute bestand ich darauf, dass wir das Hihokan Beppu besuchen. Das Sex-Museum. Keine Beate Uhse. Erotische Wandbilder. Erotische Szenen auf Porzellan. Die berühmte Marlene Dietrich-Rock-Hoch-Szene als schlechte Animation. Plastische Darstellung von Hausmachersex im japanischen Stil. Und im westlichen Stil. Imitate von Geschlechtsteilen aus der Tierwelt. Biologieunterricht. Wie groß ist ein Elefantenpenis. Wie schlank eine Walfischfrauvulva. Abbildung von kopulierenden Zebras. Ein brüllender Löwe. Billige Beispiele. Platte Ikonographie. Beschriftung nur in japanisch. Politisch correct. Die Schamhaare durch ein Milchglasscheibenrund "vernebelt". Dies wirkte wie der rote Punkt auf den Touristenpfaden "YOU ARE HERE". Ein Schritt zur Seite und die Schamhaare traten an ihre natürliche Stelle.
 
Comments:
Wartesaalheilfussbad - das ist es. Sowas möchte ich angliedern bei Gangart. Ich nehme an, die Fotos mit den Füssen im Wasser sind von dort. Es fehlt jetzt bloss die Heilquelle in Menznau. Da muss ich mir noch etwas einfallen lassen!
Frieda
 
Kommentar veröffentlichen

<< Home
Judith Arlt in Japan. -- Es hat mich in ein Land verschlagen, das sauberer ist als die Schweiz. -- Zu einer Jahreszeit, die ich lieber bei den wildlebenden Kaiserpinguinen auf dem Meereis in der Weddel See verbringen würde. -- Als begleitendes Familienmitglied eines Research Fellows der Japan Society for the Promotion of Science. -- Judith Arlt in Tsukuba Science City, Präfektur Ibaraki.

ARCHIVES
12/26/2004 - 01/02/2005 / 01/02/2005 - 01/09/2005 / 01/09/2005 - 01/16/2005 / 01/16/2005 - 01/23/2005 / 01/23/2005 - 01/30/2005 / 01/30/2005 - 02/06/2005 / 02/06/2005 - 02/13/2005 / 02/13/2005 - 02/20/2005 / 02/20/2005 - 02/27/2005 / 02/27/2005 - 03/06/2005 /


Powered by Blogger