Japan2005
Donnerstag, Januar 06, 2005
  Kairaku-En .

Der Tag versprach hausfrauliche Idylle: ich wollte mich ergehen über die japanischen Wochentage. Der heutige Donnerstag ist im Japanischen der „Holztag“ – mokuyobi. Aiga-san, die Japanischlehrerin an der Volkshochschule Mitte in Berlin hämmerte uns, ohne etwas zu erklären, die Wochentage ein wie die Zahlen, die Monate, die Monatstage (für den 6. Januar gebraucht man beileibe nicht dasselbe Zahlwort wie für 6 Eier), die Hiraganasilben und anderen Unsinn. Sie schrieb uns Tokyo in Hiragana an die Tafel und außer mir haben es alle getreulich abgeschrieben. Erst jetzt verstehe ich, woher damals, im Mai letzten Jahres mein innerer Aufruhr kam und weshalb ich den Kurs noch vor der vorletzten Stunde abbrach. Kein Mensch schreibt Tokyo in Hiragana, dafür stehen zwei Kanji-Zeichen, auf jedem im Abendwind schwankenden Schild über der Autobahn, sowie die Entfernung in handelsüblicher Verabreichungsform: 325 km.
Mein angeheirateter Sinologe wusste, kaum hatten wir letzte Woche mit Jetlag die Instruktionen über das eiskalte Apartment 2108 im Ninomiya House und die Mülltrennung in diesem Lande über uns ergehen lassen, kaum waren wir die ersten Minuten in unserer neuen Wohnung allein, sofort, dass wir am Feuertag angekommen waren. Der Funkwecker, der zum Inventar des Schlafzimmers gehört, zeigt neben der richtigen Zeit auch den richtigen Tag. Ein einziges Kanji-Zeichen. Es war Dienstag, der 28. Dezember. Und ich blätterte hier als erstes in meinem Schulheft: kayobi – „Feuertag“. Aiga-san erklärte uns nichts. Sie verkündete immer nur laut: zuerst lernen, dann fragen. Die Wochentage in Japan sind nach Elementen sortiert. So hätte ich sie mir merken wollen. Aber Aiga-san's Kindergartenmethoden behagten mir nicht. Und ich blieb ihrem Kurs fern.

Heute nun wollte ich das Versäumte nachholen. Mir die sieben Wochentage merken. Aber da klingelte das Telefon, der Professor, der früh aus dem Haus gegangen war, weil er mit Aoki-san einen wichtigen Termin bei der Präfekturverwaltung wahrzunehmen hatte, und den ich längst im Stau auf der nördlichen Ausfallstraße wähnte, meldete sich mit „Ich bin’s“. Es hieß, sagte er, ich könnte mitfahren. Nach Mito. Dort soll es sehr schön sein. Da sagt man nicht nein, als höflich mitreisende Ehefrau. Den Staubsauger hatte ich bereits in Gang gesetzt. Nicht weil ich putzen wollte, sondern weil mir beim Aufwachen in den Sinn gekommen war, dass uns nur sieben Tage Zeit gegeben war, alle elektrischen Geräte im Apartment auf ihre Funktionstüchtigkeit zu testen. Was danach seinen Geist aufgibt, müssen wir auf eigene Kosten ersetzen. Der Staubsauger! Dachte ich heute früh als erstes und sprang in Panik aus dem Bett. Aber dazu später mehr („Das rosarote Bügeleisen“).

Ich ließ also die Wochentage liegen und fuhr nach Mito. In die Hauptstadt der Präfektur Ibaraki. Ins höchste und modernste Gebäude. Es gab zwei Gespräche. Eines im zwölften Stockwerk, in der Abteilung für internationale Beziehungen. Und eines im fünfzehnten, spontan und unangemeldet beim Tourismusdepartment. Zum Glück tauchte irgendwoher (Kafkas Welt ist ein Sandkasten dagegen) eine Französin auf, die nicht nur Japanisch sprach, sondern auch deutsch. Sie übersetzte mit einer Inbrunst, dass es eine Freude war, ihr zuzusehen. Ich saß in zwei Großraumbüros. Mit jeweils mindestens 80 bebrillten BürolistInnen. An einem Besprechungstisch für sechs Personen. Die Stille war überwältigend. Keiner sprach. Außer uns. Das heißt dem Professor, der Übersetzerin und Hiroshi N. Wir hatten uns etwas verspätet. Und so zog sich das zweite Gespräch in die Mittagspause hinein. Punkt zwölf Uhr (die Schweizer sind Milchbuben dagegen) erschollen durch Lautsprecher die Mittagsnachrichten. Auf mehreren Bildschirmen im Raum waren sie auch zu sehen. Alle schreckten auf. Außer uns am Besprechungstisch über eine Sightseeing-Karte von Ibaraki Gebeugten. Die höfliche Ergebenheit war so überwältigend wie die Totenstille von 80 arbeitenden Menschen. Die jetzt sich leise erhoben, auf Zehenspitzen heißes Wasser in die Teebecher gossen, sich wieder hinsetzten, Lunchpakete auspackten, kalte Nudeln schlürften. Mein engagierter Nachhaltigkeitsexperte war nicht zu bremsen. Die Französin, Véronique, hielt mit. Ich stieß ihn in die Seite. Er merkte nichts. Um 12.15 Uhr ging das Licht aus.

Mito liegt am nördlichen Ende des größten Reisfelds Japans, der Kanto-Ebene. In Mito ist einer der drei schönsten Gärten Japans zu bewundern – Kairaku-En, angelegt um 1842 von Nariaki Tokugawa, dem neunten Lord des Mito-Clans. Deshalb wurde ich von Aoki-san gebeten, mitzufahren. Um am christlichen Dreikönigstag durch verknospte Pflaumenbäume und vereinzelt blühende Kamelien zu spazieren, den To-Gyoku-Sen, den juwelensprudelnden Brunnen anzubeten, mir die Irisblüten darum herum einzubilden, den ersten Bambuswald meines Lebens zu sehen, auf Strümpfen (die Lammfellschuhe in einer Plastiktüte am linken Arm) durch den januarkalten Palast, den Kobun-Tei zu laufen. Über lackierte Holzböden, Tatamis und pflegeleichte Auslegeware. Einer der drei schönsten Gärten Japans! Heute durchschnitten von der Eisenbahnlinie Mito – Tokyo sowie einer mehrspurigen nord-süd-ausgerichteten Autobahn.

Wo die beiden anderen schönsten Gärten sind, muss ich nochmals nachfragen. Mit kalten Füssen kann ich mir so gar nichts merken.

Auf dem Heimweg fing es an zu regnen. Angekommen, griffen wir im Kühlschrank nach unserer Notreserve. Einer Flasche Żubrówka. Produced in Białystok. Aus dem Kasumi Flaschenregal.


P.S. Der Name des Palastes, Kobun-Tei soll einem alten chinesischen Sinnspruch nachgebildet sein:

When the literacy is loved,
The ume blossoms will open
When learning is prohibited,
Then the ume blossoms will close

Ich muss also jetzt unbedingt zu den Wochentagen zurückkehren, sonst steht die diesjährige Pflaumenblüte in Gefahr.
 
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Judith Arlt in Japan. -- Es hat mich in ein Land verschlagen, das sauberer ist als die Schweiz. -- Zu einer Jahreszeit, die ich lieber bei den wildlebenden Kaiserpinguinen auf dem Meereis in der Weddel See verbringen würde. -- Als begleitendes Familienmitglied eines Research Fellows der Japan Society for the Promotion of Science. -- Judith Arlt in Tsukuba Science City, Präfektur Ibaraki.

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born in Liestal, lived in Warsaw, Berlin, Birmingham, Tsukuba, Cracow - last years in Meldorf on sea level at the Waddensea - since september 2024 in Kathmandu under the Roof of the World.

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