Japan2005
Mittwoch, Februar 09, 2005
  Chunjie .

Frühlingsfest. Chinesisches Neujahr. Heute beginnt das Jahr des Hahns. Die Japaner haben damit nichts am Hut. Die feierten alles pauschal am 1.1. Wir, der Professor und ich, feiern 4 x 12 (4 Elemente mal 12 Tierkreiszeichen). Mit 5 x 12 (die fünf Elemente Feuer, Metall, Wasser, Erde, Luft in je einem Durchgang mit den Tierkreiszeichen) ist die erste Runde des Lebens geschafft. Der Professor hat für unser nächstes Hahnenkämpfejahr zwei Porzellanstäbchenbänke gekauft, das eine in Form eines schneeweißen Hahns, das andere in Form eines blutorangenroten. Wir werden die nächsten zwölf Jahre nur noch mit Stäbchen essen. Manche seiner Kollegen spotteten, das könne nie gut gehen. Nach Jahren Wochenendehe zwei Monate in Japan Tag und Nacht zusammen. Er verbrachte seinen Tag im Institut, nicht sehr wissenschaftsintensiv, wie er am Abend in der Küche gestand. Ich meinen in der kalten Bibliothek (es war so heiß, dass ich meinen Wollpullover ausziehen musste) und in der polnischen Sprache. Er brachte außer Gemüse eine tiefrote Rose und einen Strauß Nelken nach Hause. Für letztere fehlt leider im Mobiliar des Ninomiya Houses eine entsprechende Vase. Bei Nacht und Nebel radelte er noch zu La cave de YaMaYa, kaufte drei halbe Freixenet brut. Und kochte dann.

Frühling in Tsukuba. Stundenlang dampfte heute Vormittag der Acker vor unserem Fenster. Zum ersten Mal ist die Wäsche auf dem Balkon nicht trocken geworden. Nebel und Feuchtigkeit in der Luft. Wie im Herbst im Baselbiet. Heute Nacht ist meine Uhr stehen geblieben. Das bedeutet nur, dass auch die Batterie erschöpft ist. Schwiegermutter berichtet regelmäßig postalisch aus Charlottenburg. Kürzlich, dass sie dank Dauerfrost ihre Tiefkühltruhe abtauen konnte. Im Fernsehen das Fußballweltmeisterschaftsqualifikationsspiel Japan – Nordkorea. Knapper Sieg für Japan 2:1. Oguro-san, der das zweite Tor kurz vor dem Schlusspfiff schoss, zeigte beim Interview vor der Kamera, von dem ich kein Wort verstand, krumme Zähne. Die verzärtelten Spieler bekommen nach Spielende blitzschnell eine Wärmeisolierjacke übergestülpt. Hier herrscht längst Frühling. Nordkoreanische Spieler zeigt die japanische Fernsehkamera nicht in Nahaufnahme. Das Stadion war voll von japanischen Fans.

Beim Aufräumen – auch damit muss allmählich angefangen werden – fiel mir die Karte in die Hand, die ich auf Vorrat in Miyajima gekauft hatte. Kaufe nie Vorratsansichtskarten! Ich wollte sie meinem Meister nach Warschau schicken. Gedankenlos. Auf der Plastikhülle (die im Normalfall nicht mitgeschickt, sondern materialgerecht entsorgt wird) steht in Goldlettern „Wonderful Hiroshima. The Mecca of the World Peace“. Auf der Karte selbst ist unter dem Bild aufgedruckt: A-bomb Dome Hiroshima. Natürlich werde ich die Karte keinem anständigen Menschen mehr schicken können. Hiroshima ist das Mekka des Tourismus geworden. Der Peace Park soll Unesco-Welterbe sein. Ich schäme mich. Und darf diese lächerliche Plastikhülle nicht mehr mit unserem brennbaren Alltagsmüll entsorgen. Gewissenlos. Ich muss alles sorgfältig aufbewahren in meiner aus Einwegessstäbchen gefertigten Holzkiste der japanischen Haarsträubereien.

Chinesisches Neujahr. Wir leben zwischen Ebbe und Flut. Heute ist einer der wenigen Tage in Tsukuba ohne Nachmittagssonne. Aoki-san behauptet, mangelnde Bildung sei schuld daran, dass die Städte im Land so entsetzliche Betonpräsentationsflächen seien. Es brauche noch mehrere Generationen, bis das Bewusstsein gewachsen sei, dass auch der öffentliche Raum ästhetisch gestaltet werden könne und müsse. Nicht nur der private. Ich glaube ihm kein Wort. Der schönste Garten Japans, Koraku-En in Okayama, ist nur deshalb seit dreihundert Jahren auch der schönste Garten im Land geblieben, weil der Asahigawa nicht von der Erdoberfläche gewichen ist. Der Fluss bildet einen Schutzwall um den Garten. Das Ungeheuer Stadt kann das Element Wasser nicht eliminieren. 
Comments: Kommentar veröffentlichen

<< Home
Judith Arlt in Japan. -- Es hat mich in ein Land verschlagen, das sauberer ist als die Schweiz. -- Zu einer Jahreszeit, die ich lieber bei den wildlebenden Kaiserpinguinen auf dem Meereis in der Weddel See verbringen würde. -- Als begleitendes Familienmitglied eines Research Fellows der Japan Society for the Promotion of Science. -- Judith Arlt in Tsukuba Science City, Präfektur Ibaraki.

ARCHIVES
12/26/2004 - 01/02/2005 / 01/02/2005 - 01/09/2005 / 01/09/2005 - 01/16/2005 / 01/16/2005 - 01/23/2005 / 01/23/2005 - 01/30/2005 / 01/30/2005 - 02/06/2005 / 02/06/2005 - 02/13/2005 / 02/13/2005 - 02/20/2005 / 02/20/2005 - 02/27/2005 / 02/27/2005 - 03/06/2005 /


Powered by Blogger