Der letzte Arbeitstag
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Ich warte auf die elektrische Kofferwaage. Sie geht heute im Ninomiya House um wie ein Gespenst. Monatsende. Gepäckumschlagplatz. Draußen liegt Schnee.
Bereits um 9:15 Uhr fand die „final room inspection“ statt. Derselbe Mann, der kürzlich Insektengift hinter den Kühlschrank sprühte, kam und zählte erneut die Feuermelder. Um 9:45 Uhr fand das „final payment“ statt. Seither ist unser Telefon tot. Berlin, Liestal und Lahaina wurden vorsorglich gestern Abend noch einmal angerufen.
Der Professor fuhr anschließend nach Tokyo. Zu seinen letzten beiden wichtigen Terminen. Ich verblieb bei den Koffern. Schaltete zum letzten Mal das rosarote Bügeleisen ein.
3 R. Die Erleuchtung von gestern. Reduce. Reuse. Recycle. Der Nachhaltigkeitsspezialist ist auf einen elektronischen Newsletter von Ministerpräsident Koizumi persönlich abonniert. Mir hat er davon erst gestern erzählt.
Vorgestern Nacht, schreibt Eiko, hätte es ein ganz leichtes Erdbeben gegeben. Das dritte. Ich habe nichts davon bemerkt. Bin nach drei kalten Nächten unter dem Tisch endlich wieder mit warmen Füssen eingeschlafen.
Im Tagesspiegel online las ich, als der Professor schon im Bus nach Tokyo saß, dass auf Rügen 50.000 Kubikmeter Kreidefelsen abgebrochen und in die Ostsee gestürzt sind. Die „Wissower Klinken“ fielen Nässe und Kälte zum Opfer. Der Leiter des Nationalparks Jasmund (gottseidank kein Weltnaturerbe) wird zitiert mit dem tröstlichen Satz: „Postkarten und Bildbände müssen nun wohl neu gestaltet werden.“
Junichiro Koizumi empfing letzte Woche Wangari Maathai, die letztjährige Friedensnobelpreisträgerin und Kenias Umweltministerin. Die schwarze Dame im gelben Kleid überbrachte dem löwenmähnigen Premier ihre Begeisterung über das Umweltprogramm seiner Regierung „mottainai“. Dies meine, erklärt die provisorische Übersetzung der Rede des Herrn ins Englische, etwa so viel wie „don’t waste what is valuable“. Verschwende nicht, was wertvoll ist. Koizumi zeigt sich in seiner persönlichen Botschaft im Netz zunächst perplex darüber, dass ein Ausländer (eine Ausländerin!) in der Lage ist, den Sinn des Wortes „mottainai“ zu verstehen. Dann gibt er konkrete Tipps: 1° Celsius Temperaturunterschied auf dem Regler der Air condition (bei „kühlen“ mehr, bei „heizen“ weniger) würde Japans gesamten CO2-Ausstoss um „thousands of tons“ jährlich reduzieren. Und bei den in Japan üblichen heizbaren Toilettenbrillen könnten pro Jahr und Haushalt „18 kg“ des CO2-Ausstosses eingespart werden, wenn der Deckel nach Benützung der Toilette auf die warme Brille gelegt würde.
Japan pur. In den Instruktionen zum Auszug aus dem Ninomiya House werden wir unmissverständlich aufgefordert, Reste von Salatsaucen und Speiseöl mit Chemikalien zu „verfestigen“. Der daraus entstehende Kunststoffklotz gehöre in den Sondermüll. Oder man wickle bitte die Speiseölflasche in Zeitungspapier oder alte Kleider ein und übergebe sie dem normalen brennbaren Haushaltsmüll. Die Kreide wird den Rüganer Oststrand nun noch weißer färben. Ein undramatisches Naturereignis.
Japan pur. Im ganzen Land sind jahraus jahrein Hunderttausende wenn nicht Millionen von „Vending machines“ in Betrieb, die sowohl heiße wie auch kalte Getränke anbieten. Auf Hokkaido wird bei 20 Grad minus der Kaffee in der Dose auf der Strasse rund um die Uhr auf einer gaumenfreundlichen Trinktemperatur warmgehalten. Im Hochsommer ist halb Tokyo ein eiswürfelkalter Grünteebecher. Auch Klodeckel schließen in diesem Land nicht zugluftdicht.
Die Koizumibriefe können unentgeltlich angefordert werden über:
http://www.kantei.go.jp/foreign/m-magazine/
Die Waage ist bei mir angekommen. Die Verzweiflung auch. Ich muss das Gewicht gerecht auf zwei Koffer verteilen. Bald reisen wir getrennt.